Beitrag | 12 Hektar Grünfläche erhalten oder #Grünfraß und DAX-Konzern Beiersdorf mästen?

[Redaktion]
Region: Lokstedt, Niendorf, SchnelsenBeiträge Roland Wiegmann

[RWg] Kleingarten-Grünfläche versus #Grünfraß Beiersdorf? Hamburg Lokstedt:

Grünerhalt oder Konzern-Profit?
Was wollen die betroffenen Menschen vor Ort?

35,5 Mio. Euro (**) will der DAX-Konzern Beiersdorf(*) der Stadt Hamburg bezahlen für eine der größten, zusammenhängenden Grünflächen im hochverdichteten innerstädtischen Gebiet Hamburgs. Ca. 12 Hektar oder 17 Fußballfelder!
Das ist fast ein kleiner Stadtteil. Ein Schnäppchenpreis nach Experten-Meinung.

Hier - rund um den Veilchenstieg - wird von der Natur frische Luft produziert, gefiltert oder in den dicht bebauten Stadtteil hereingeleitet. Hier erholen sich seit Jahrzehnten Menschen durch Gartenarbeit, Entspannung und Natur. Auf dieser Grünfläche wuchsen Generationen von Menschen auf. So manche Tier- und Pflanzenart hat hier noch einen Rückzugsort gefunden. Anwohnerinnen und Anwohner spazieren über die Wege zwischen den Parzellen und genießen den großen Grünzug zwischen ihren Wohnblöcken. Noch!

Diese Idylle wird aber - geht es nach dem benachbarten DAX-Konzern Beiersdorf und dem Hamburger SPD-Senat unter Olaf Scholz - schon bald Geschichte sein. Unsere Landesregierung verkauft die Fläche zur Werkserweiterung an die Chemiefabrik.

Im Bericht des Hamburg Journals vom 14. Januar 2018 wird vermutet, «zwischen Senat und Konzern paßt wohl kein Blatt Papier. An Alternativen zum Deal "Standort-Sicherung gegen Land" wurden erst gar keine Gedanken verschwendet.»

Frank Horch (Wirtschaftssenator der so Freien und Hansestadt Hamburg) bringt die Erpressungs-Situation im Hamburg-Journal-Bericht wörtlich auf den Punkt: «Wir wollen das einzige DAX-Unternehmen am Standort - mit Rückblick auf die z.T. bereits von Beiersdorf verlagerte TESA-Sparte - unter allen Umständen in Eimsbüttel halten. Es sind fast 4.000 Menschen dort beschäftigt.»
"Unter allen Umständen" - das ist die restlose Unterwerfung unter Konzerninteressen unter Verzicht auf jeden noch so winzigen politischen Gestaltungswillen. Das ist erbärmlich. Ein Wirtschaftssenator, der sich so schamlos von Unternehmen erpressen läßt, ist falsch in seinem Job. Aufgabe eines demokratisch gewählten Regierungsmitglieds ist die Interessenvertretung der Wähler_innen - der Mehrheit - nicht das Pampern von Großkonzernen, die vor lauter Konzerngewinnen (s.u.) kaum laufen können.

Und hier ist des Pudels Kern:
Liegt dieser Verkauf - abgesehen von den direkt Betroffenen und Anwohner_innen -  tatsächlich im Interesse der Mehrheit der Hamburger Bevölkerung?

Betroffene wie die Anwohnerinnen und Anwohner oder erst Recht die Kleingärtner_innen wurden weder gefragt noch von Senat oder Behörden informiert. Kein Wunder - Information der Betroffenen schafft ja auch nur (zu Recht) Gegenwehr. Diese ja eher unangenehme Aufgabe überließ man gern dem "Landesbund der Gartenfreunde (LGH)", der Institution, die sämtliche im städtischen Eigentum befindlichen Kleingarten-Flächen von Hamburg formal pachtet und an die Vereinsmitglieder (die Kleingarten-Vereine) weiter verpachtet.
Sinnigerweise ist deren Erster Vorsitzender und Geschäftsführer in einer Person: Dirk Sielmann (SPD). Den kennen Sie? Nicht ohne Grund - er ist auch Vorsitzender der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte und - wie man hört - auch häufig im Hamburger Rathaus, wenn es um Liegenschafts-Angelegenheiten der Stadt geht.
Eine interessante Kombination von Aufgaben hat der Mann.
Jedenfalls - divide et impera - veranstaltete der LGH kurzerhand 2 Termine, zu denen erst nach erheblichen Protesten der Vereinsmitglieder auch Externe wie z.B. Anwohner_innen hereingelassen wurden. Als ob diese nicht ein mindestens ebenso hohes Informations-Interesse haben, wenn es um eine so grundsätzliche Verschlechterung ihrer Wohnsituation geht. Schnell mal durchziehen, damit man nachher sagen kann, man habe ja ausgiebig im Dialog den Bürger informiert. Aber auf die in der Eimsbütteler Bezirksversammlung (Dez. 2017) versprochene Informationsveranstaltung von Beiersdorf und Behörden warteten die Betroffenen bis zum 30. Januar 18 vergeblich.

Was ist die Standard-Aussage der Senats-Informationspolitik? Man kann wohl ohne Übertreibung zusammenfassen: "Regt Euch nicht auf, Ihr könnt ja noch weitere 20 Jahre hier Kleingärtnern. Und wir haben Euch auch passablen Schadensersatz sowie Ersatzflächen schon besorgt."
Nebelkerzen!
Wie gesagt - auch die Anwohner_innen haben ein Interesse, ihre Wohnsituation nicht zu verschlechtern. Erhalten die auch Ersatz-Wohnungen oder -Häuser?
Im Kaufvertrag (der erst nach erheblichem öffentlichen Druck mit vielen geschwärzten Stellen im Hamburger Transparenzportal veröffentlicht wurde) wird die Fläche nach den ersten 10 Jahren ohne Nutzung für Beiersdorf teurer. Wie also wird der Konzern wohl seine Pläne umgehend gestalten? Zeit lassen bis in 20 Jahren? Offiziell hat man noch keine Pläne. Ehrlich?230 Millionen Euro aus dem Fenster ohne Pläne? Wer glaubt denn sowas? Da kann man doch nur Dummheit bei den Planenden vermuten, die so viel schlichten Glauben in der Bevölkerung voraussetzen.

Ehe wir uns weiter mit Märchen befassen, nochmal zu den Fakten:

  1. Der DAX-Konzern Beiersdorf räumt - völlig unabhängig von diesem 'Landgrabbing' (***) rund um den Veilchenstieg - sein Betriebsgelände an der Unnastraße ab, um dort in Eigenregie hochpreisige Wohnungen (man kann es auch "Betongold" nennen) zu bauen und Konzern-Verwaltung plus Produktion auf dem vorhandenen Firmengelände an der Troplowitzstraße effizient zu konzentrieren. Das ist in Zeiten von rasant steigenden Liquiditäts-Überschüssen (HA vom 06.08.2015 berichtet von 4 Milliarden Euro in der 'Kriegskasse') in einer Niedrigzins-Phase bei explodierenden Mietpreisen eine Top-Geldanlage für den Chemie-Konzern.
     
  2. Mit Kauf und Bebauung der nördlich ans Konzerngelände angrenzenden besagten Kleingartenflächen rund um den Veilchenstieg vernichtet der Chemie-Gigant Beiersdorf eine zusammenhängende Grünfläche von ca. 17 Fußballfeldern!
    Sollen wir tatsächlich das Märchen glauben, daß für die Grünflächen noch keine konkreten Pläne bestehen? Entgegen aller Verschleierungstaktiken (auch der Kaufvertrag erschien erst nach massivem öffentlichen Druck im Transparenzportal) wird hier am Veilchenstieg jedenfalls kein Wohnraum entstehen. Denn das würde nicht nur die avisierte Änderung des Flächennutzungsplanes "Lokstedt 44" von Grünflächen zu Gewerbegebiet sondern sogar zu Wohnungsbau-Fläche voraussetzen. Letztlich ist diese Variante natürlich unter betriebswirtschaftlichen Verwertungsgesichtspunkten auch nicht völlig auszuschließen und wäre dann der städtische Diamant-Besatz der Aktionärsprofit-Vergoldung. Vorläufig ist aber festzuhalten: Hier am Veilchenstieg wird der Hamburger Wohnungsmarkt nicht entlastet sondern Chemie-Produktion intensiviert - mitten im Wohnviertel.
     
  3. Im hochverdichteten Stadtteil soll also eine sehr große Grünfläche vernichtet werden, um dort - mittenim Wohngebiet - eine Chemiefabrik allein von der Grundfläche her mehr als zu verdoppeln! Welche gesundheitlichen Risiken gehen die Anwohner_innen ein?
     
  4. Das fragliche Gelände scheint im übrigen einen sehr hohen Grundwasser-Spiegel aufzuweisen. Schon jetzt erleiden Häuser im nördlich angrenzenden, wenige Jahre alten Neubaugebiet (Henning-Wulf-Weg, Veilchenweg) dadurch Setzungsrisse. Was immer Beiersdorf auf der Kleingarten-Fläche bauen wird - welche Folgen wird das haben für die älteren Häuser ringsum?
     
  5. Arbeitsplätze
    Wirtschaftssenator Horch (s.o.) verbreitet im Hamburg-Journal, Beiersdorf verfüge hier in Eimsbüttel über ca. 4.000 Arbeitsplätze. Auch das - eine Nebelkerze. Und vor allem: Beiersdorf ist geübt darin, viel zu versprechen.
    Was von der Zahl der versprochenen Arbeitsplätze oder der Standortgarantie zu halten ist, läßt sich aus der jüngeren Geschichte schön illustrieren. So verkündete das Hamburger Abendblatt am 01.12.2011 noch, die 3.700 Mitarbeiter_innen der Klebeband-Tochter TESA seien von dem damaligen Konzernumbau nicht betroffen. "Was schert mich mein Geschwätz von gestern" scheint der Konzern sich aber dann doch gesagt zu haben und - schwupp-di-wupp - am 29. Jan. 2016 - kaum 4 Jahre später - eröffnete TESA seine Zentrale in der Niendorfer Straße in Norderstedt. 1.000 Arbeitsplätze waren plötzlich in Schleswig Holstein. Und auf die ursprünglich zugesagte Kita mit 80 Betreuungsplätzen "verzichtete" der Konzern dann auch noch in Norderstedt, weil plötzlich kein Bedarf mehr da sei .....
     
  6. Macht das Sinn?
    Das Elbe-Wochenblatt berichtete am 27.12.17: "Das Grün soll wilder werden - Umweltministerium will mit 22 Mio. Euro Hamburgs Grünflächen umgestalten". „Natürlich Hamburg“ heißt das auf 14 Jahre angelegte Großprojekt. Hier hält Hamburg die Hand auf für aufwändige Grünflächen-Renaturierung in Höhe von 22 Mio. Euro. Zudem:
    Jahr für Jahr zahlt die Stadt Hamburg jeweils ca. 51 Mio. Euro für die Pflege des öffentlichen Grüns (Hamburger Abendblatt 19.05.17).
    Auf der anderen Seite werden 12 Hektar Grünfläche mal eben dem Kapital geopfert, wenn einem Großkonzern danach ist.

Zum Schluß ist dem Statement eines Betroffenen nichts hinzuzufügen:
« Politik-Verdrossenheit fängt nicht in Berlin an, sondern hier im Stadteil ! »

Roland Wiegmann

Roland Wiegmann

c/o DIE LINKE. Fraktion in der Bezirksversammlung Eimsbüttel
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Weiterführende Links:

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(*)   Tesa und Beiersdorf gehören zu Maxingvest. In dieser Holding bündelt die Hamburger Kaffeefamilie Herz (Tchibo) ihre Aktivitäten.

(**) Nicht 230 Mio. Euro wie im Hamburg-Journal fälschlich genannt. Auf 230 Mio. Euro schätzt der Beiersdorf-Konzern die Umbaukosten seiner Konzernzentrale an der Troplowitzstraße.

(***) Land Grabbing (engl.) ist ein Begriff für die (teilweise illegitime oder illegale) Aneignung von Land (und die Vertreibung der ansässigen Bevölkerung), insbesondere Agrarfläche oder agrarisch nutzbare Flächen, oft durch wirtschaftlich oder politisch durchsetzungsstarke Akteure.

  • Am 08. März 2017 berichtete das Hamburger Abendblatt vom höchsten Gewinn der Firmengeschichte Beiersdorfs: 727 Mio. Euro. Und das war keine Ausnahme. Im Jahr 2015 betrug der Gewinn 671 Mio. Euro.
    Am 05. März 2014 meldete das HA mit der Meldung: "Nivea zwingt Konkurrenz in die Knie" vom "Abhängen" (!) der gesamten internationalen Konkurrenz. Am 05.03.2013 vermeldete der Beiersdorf-Konzern trotz Einbußen durch den Konkurs des Großkunden Schlecker eine Umsatzrendite in der Kosmetiksparte konzernweit von 12,0 Prozent (Vorjahr: 11,4 Prozent). Die kleinere Klebstofftochter Tesa kam auf eine Rendite von 13,0 (11,6) Prozent. Das sind Verzinsungen, von denen andere träumen.
     
  • Kritik am Hamburg-Journal:

    # Die genannten 230 Mio. Euro kostet der Konzern-Umbau Unnastraße/Troplowitzstraße, nicht der Flächenkauf am Veilchenstieg.
    # Die vom Verkauf Betroffenen erhielten im Hamburg-Journal-Bericht nur ca. 1/3 der Zeit, der doppelt so große Rest ist Hof-Berichterstattung.
    # Der Bericht erweckt an einer Stelle den Eindruck, am Veilchenstieg würden womöglich Wohnungen gebaut. Dies entspricht nicht den aktuellen offiziellen Aussagen und beschönigt den Verkaufs-Deal. Schließlich benötigen wir in Hamburg händeringend bezahlbaren Wohnraum.

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