Rede Wiegmann | Beanstandung - Bezirk ohne Demokratie? Rede zur Aktuellen halben Stunde

Roland Wiegmann

Beanstandung - Bezirk ohne Demokratie?
Rede zur Aktuellen halben Stunde der Bezirksversammlung Eimsbüttel am Do. 24.11. 22

Geehrte Anwesende – hier in Präsenz und virtuell an den Bildschirmen, 

  1. Die Bezirksversammlung wird parallel zu den Europawahlen demokratisch gewählt und ist die Interessenvertretung, das Parlament des Bezirks Eimsbüttel.
  2. Die 7 Bezirke der Stadt Hamburg entsprechen den Kommunen der Flächen-Bundesländer.
  3. Eines der wichtigsten Rechte der Bezirksversammlung ist die Aufstellun und der Beschluss von Bebauungsplänen.
  4. Die Bezirksversammlung kontrolliert die Bezirksamtsleitung.
     
  5. Jeder dieser 4 Glaubenssätze ist falsch!

Das sind seit Jahrzehnten sorgsam gehegte Narrative / Euphemismen - welche eine demokratische Verfasstheit dieser Stadt simulieren sollen, die sie schlicht nicht hat -
Potemkinsche Dörfer.

Die Realität ist:

  • In der Stadt Hamburg, wie sie von den Nationalsozialisten 1937 als ‘Einheitsgemeinde’ verfasst wurde, gibt es nur eine einzige Institution, die hier etwas bis herunter ins Detail der ‘kommunalen’ Ebene zu sagen hat, das ist der Hamburgische Senat.
  • Es gibt keine Kommunen in Hamburg.
  • Tatsächlich ist die Stadt Hamburg das ‘Gemeindelose Bundesland Hamburg’.
  • Die Bezirksversammlung ist kein demokratisches Parlament, sondern - wie das Kundenzentrum oder die Hausmeister im Erdgeschoss des Bezirksamtes - ein Teil der Bezirksverwaltung (und eine Abteilung der Verwaltung kann der anderen keine Vorschriften machen).
    Und das ist kein kleiner Formfehler, sondern eine handfeste, demokratische Missbildung mit massiven negativen Folgen für die demokratische Mitbestimmung auf kommunaler Ebene. 

    Dieser Verwaltungsausschuss hier hat nicht einmal tatsächlich die Befugnisse, die er immer als Monstranz vor sich herträgt.
  • Das Bezirksverwaltungsgesetz besagt zwar (in §19,2 Zitat): „Die Bezirksversammlung kontrolliert die Führung der Geschäfte des Bezirksamts.“
  • Aber die Wirklichkeit ist umgekehrt (wie wir jetzt mit der förmlichen Beanstandung des Bezirksamtsleiters vom 12.10.22 wieder einmal nachdrücklich aufgezeigt bekamen). Die Bezirksamtsleitung kontrolliert diese Bezirksversammlung.
  • Faktisch haben wir dieses Kontrollrecht von §19,2 nicht, denn ein Durchsetzungs- Instrumentarium, z.B. ein Zustimmungsvorbehalt, wird uns verweigert.
  • Die hochgelobte Legende vom Recht der Bezirksversammlung, Bebauungspläne zu beschließen entpuppt sich als das Recht (Zitat) „in den Fällen, in denen das Bezirksamt zur Feststellung der Bebauungspläne befugt ist, die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit (nach §3,1 BauGB) durchzuführen“ (Zitatende §1, Abs. 2 Bauleitplanfeststellungsgesetz).

Das ist - mit Verlaub - die Erlaubnis zur Organisation des Caterings mit Würstchen und Kartoffelsalat.

Das Kontrollrecht der Bezirksversammlung nach §19,2 BezVG wird vom Bezirksamtsleiter in seiner Beanstandung kurzerhand eingedampft auf (Zitat) „Empfehlungen - zum ... Bebauungsplan und ! unverbindlichen ! Einfluss auf bauleitplanerische Entscheidungen des Bezirksamtes.“

Nehmen wir nur die städtebaulichen Verträge, die erst das Knochengerüst der Bebauungspläne mit „Fleisch“ versehen. In kurzen Worten handelt es sich bei diesen Verträgen um eine Ausgliederung der kommunalen Stadtplanung aus der Zuständigkeit der öffentlichen Verwaltung in die Zuständigkeit der Investoren.
Parlamentarische Kontrolle? Pustekuchen.

Unser Stadtplanungs-Ausschuss wollte hier „Mehr Transparenz in der Bauleitplanung“ - weil wir unserem Kontrollauftrag nach §19,2 BezVG nachkommen wollen. Der Bezirksamtsleiter gesteht der Bezirksversammlung aber nur einen Anspruch auf Information insoweit zu, dass wir Empfehlungen abgeben können.
Wie großzügig.

Liebe Kolleg:innen -
die Beschneidung unserer kommunalen Beschlusskompetenz geht weit darüber hinaus:
Jede:r von uns kennt Beispiele zuhauf, wo Beschlüsse dieser Bezirksversammlung von z.B. der ‘unteren Straßenverkehrsbehörde’ oder direkt von einer Abteilung des Bezirksamtes entweder gleich ignoriert oder mit einem Federstrich eliminiert wurden.

Ich sage nur: Fußgänger-Überweg Max-Träger-Schule, Umbenennung Felix-Dahn-Straße, Zweirichtungsradweg Riekbornweg, Öffentliche Toilette Osterstraße, Tempo30 Eppendorfer Weg, Fahrradstraßen im Kerngebiet, Lärmschutzmaßnahme Fruchtallee, ...
usw. usw. - die Fälle sind ungezählt.

Funfact am Rande:
Weil die Stadtplanungs-Abteilung nach unserem Beschluss im StaPla jetzt ‘mucksch’ ist, bekommen wir prompt weniger Themen zu beraten - so dass die Ausschuss-Sitzung Anfang dieses Monats erstmalig mangels Inhalten ausfiel.

Liebe Kolleg:innen und Kollegen, nur zur Dimension des Ganzen:
Wenn eine Initiative in Eimsbüttel etwas durchsetzen möchte, dann braucht sie in einer mehrwöchigen Anstrengung zigtausende Unterschriften, damit das in ein Bürgerentscheids-Verfahren münden kann. Wenn es das tut, dann ist solch eine Abstimmung gleichwertig mit einem einzigen Beschluss dieser Bezirksversammlung. Diese Bezirksversammlung repräsentiert mehr als 260tausend Einwohner:innen. Und wenn wir hier mit Mehrheit etwas beschließen, dann ist das die Mehrheit von 51 Mitgliedern dieser Bezirksversammlung.

Und eine einzige Verwaltungsbeamtin, ein einziger Verwaltungsbeamter - unabhängig davon, ob es ein Polizeikommissar ist oder der Bezirksamtsleiter - kann mit einem einzigen Federstrich solch einen Beschluss kippen.
Ich denke, Demokratie geht anders.

Der Stadtrat der Gemeinde Pinneberg hat mehr Rechte als die gewählte Interessenvertretung der Großstadt Eimsbüttel.
Lassen Sie uns endlich uns selbst und diese Bezirksversammlung ernst nehmen.
Die Einheitsgemeinde der Stadt Hamburg muss fallen.

Für Rückfragen: 

Roland
Wiegmann

Tel: +49 (0) 163 1640 275 (mobil)
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Fraktionsbüro

c/o DIE LINKE. Fraktion in der Bezirksversammlung Eimsbüttel
Kieler Straße 689, Hinterhaus, 22527 Hamburg
Tel: +49 (0) 163 1640 275 (mobil)
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Hier erhalten Sie die Pressemitteilung Wiegmann | "Bezirk ohne Demokratie? Linksfraktion beantragt Aktuelle halbe Stunde für Bezirksversammlung Eimsbüttel am morgigen Donnerstag, 24.11.22" als Download-PDF.

Hier erhalten Sie die Pressemitteilung Wiegmann | "Bezirksamtsleiter beanstandet demokratische Kontrolle der Bauleitplanung durch Stadtplanungsausschuss in Eimsbüttel " als Download-PDF.

Hier erhalten Sie die Beanstandung des Bezirksamtsleiters Gätgens | "Formale Beanstandung des Beschlusses 'Mehr Beteiligung bei Verfahren der Bauleitplanung sicherstellen' der Bezirksversammlung Eimsbüttel vom 29.09.22 (Drs. 21-3278)" als Download-PDF.

Hier erhalten Sie den Antrag GRÜNE/CDU/LINKE | "Mehr Beteiligung bei Verfahren der Bauleitplanung sicherstellen" als Download-PDF.