Verleihung des Eimsbüttler Bürgerpreises an Helga Obens

Am 25.9.2013 wurde Helga Obens mit dem Bürgerpreis der Bezirksversammlung Eimsbüttel ausgezeichnet, für besondere Verdienste durch ehrenamtliches und soziales Engangement für den Bezirk Eimsbüttel.

In der Urkunde dazu heißt es: "Frau Helga Obens ist seit den frühen 1980er Jahren ehrenamtlich in Bürgerinitiativen aktiv und Gründungsmitglied des Arbeitskreises "Bücherverbrennung - nie wieder". Sie ist seit dem Jahr 2000 Vorstandsmitglied im "Auschwitzkomitee in der Bundesrepublik Deutschland e.V." und in der Arbeitsgruppe "11.000 Kinder/Deportationen", die den "Zug der Erinnerung" nach Hamburg geholt hat. Die Bezirksversammlung Eimsbüttel bedankt sich für das besondere Engagement."

Die wunderbare Laudatio von  Winfried Weinke hat die Gäste des Abends spürbar berührt, deshalb möchten wir sie hier wiedergeben:

Liebe Helga Obens, liebe Frau Führbaum, sehr geehrter Dr. Sevecke, sehr geehrte Mitglieder der Bezirksversammlung Eimsbüttel, sehr geehrte Damen und Herren,

als ich vor geraumer Zeit gefragt wurde, ob ich die Laudatio anläßlich der heutigen Verleihung des Bürgerpreises an Helga Obens halten möchte, habe ich nicht lange überlegen müssen, um Ja zu sagen. Schließlich ist Helga Obens mir keine Unbekannte.

Liebe Helga Obens, meine Damen und Herren,

es herrscht kein Mangel an Zitaten, wenn es um das Verhältnis von Menschen zu ihrer Geschichte geht. Sie alle kennen vermutlich das 1951 geprägte Wort des amerikanischen Schriftstellers William Faulkner: "Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen." Die Schriftstellerin Christa Wolf benutzte diesen Satz gleich zu Beginn ihres 1976 erschienenen Romans "Kindheitsmuster", um ihn prägnant zu ergänzen: "Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd."

Wir trennen es, das Vergangene, von uns ab und stellen uns fremd. Wie sehr dieser Satz zutraf, werden alle wissen, die in den fünfziger, sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts groß geworden sind. Die bundesweit angestimmte Hymne lautete "Wir haben von allem nichts gewusst !", eine kollektive Amnesie, ein flächendeckender Gedächtnisschwund, legte sich bleiern über dieses Land. Denen, die Erinnerung wollten, scholl der nicht selten aggressive Ruf nach einem "Schlußstrich" entgegen. Lange Haare, Jeans und Parka ließen Pipitahütchen und Staubmantel tragende Kleinbürger schon mal nach dem "Arbeitslager" rufen. Die aktive Wahrnehmung des Demonstrationsrechts, gar verknüpft mit einem roten Transparent und politischen Forderungen, ging oftmals einher mit der Aufforderung "Geht doch nach drüben". Das Kollektiv hatte jede Schuld abgelehnt, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder ließen nicht mal Spielraum für kollektive Scham. Der Befund der Psychologen erschien Mitte der Sechziger Jahre und trug die Überschrift: "Die Unfähigkeit zu trauern".

"Geschichtsvergessenheit/Geschichtsversessenheit" nennen die Professorinnen Aleida Assmann und Ute Fevert ihr Buch über den "Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945". Was mit wenigen Sätzen zur Geschichtsvergessenheit angedeutet war, hat sich zu unserem Glück in den letzten drei Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts zum Besseren entwickelt. Zu den Wegmarken zählen die Wahl eines deutschen Emigranten zum Bundeskanzler (1969), dessen Kniefall in Warschau (1970), die Ausstrahlung und Diskussion des amerikanischen "Holocaust"-Films (1979), der Historiker-Streit um die vermeintliche Vergleichbarkeit nationalsozialistischer und stalinistischer Verbrechen (1986/87), die Goldhagen-Debatte um das Buch "Hitlers willige Vollstrecker" (1996), die in der Öffentlichkeit als "Wehrmachtsausstellung" bezeichnete Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" (seit 1995), der Streit um Martin Walser, seine Rede in der Frankfurter Paulskirche und sein Wort von Auschwitz als "Moralkeule".

Ein anderes Zitat zum Verhältnis des Menschen zur Geschichte machte damals die Runde. Es stammt von dem amerikanischen Philosophen und Schriftsteller George Santayana und lautete: "Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist gezwungen (je nach Akzentuierung: verdammt oder auch verurteilt), sie zu wiederholen." (1905)

Es kann sein, daß ein solches Menetekel für viele handlungsleitend gewesen ist. Für die, die aus der Geschichte lernen wollten, war es das gewiß. Wenn wir heute von Erinnerungspolitik oder allgemeiner von Erinnerungskultur sprechen, denken wir nicht allein an das Tun (oder: Unterlassen) staatlicher Akteure. Erinnerungskultur verteilt sich in unserer demokratisierten Gesellschaft auf mehrere Schultern. Zwei davon gehören Helga Obens, die heute zu Recht zu ehren ist.

Ich kenne sie weniger aus ihrem Beruf als Verlagsbuchhändlerin. Wir sind uns aber wiederholt, besser gesagt: immer wieder auf dem Feld der Erinnerung begegnet, sei es während der Veranstaltungen des "Auschwitz-Komitees", zu dessen Vorstand sie zählt, bei der Mahnwache der VVN auf dem Joseph-Carlebach-Platz, wo alljährlich an das reichsweite Pogrom vom November 1938 erinnert wird, bei so mancher "Stolperstein"-Setzung am Grindel, bei Demonstrationen und Manifestationen gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit, schließlich bei den Aktivitäten des Arbeitskreises "Bücherverbrennung - Nie wieder !" und des Lesemarathons. Immer habe ich sie als zugewandte, politisch engagierte Verfechterin ihrer Sache erleben können.

Lassen Sie mich mit einem weiteren Zitat enden, es stammt aus der jüdischen Überlieferung. Dort heißt es "Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung". (Rabbi Israel Ben Elieser) Wenn der Bürgerpreis der Bezirksversammlung Eimsbüttel Menschen auszeichnet, die sich durch ihr stetes Engagement für Toleranz und Teilhabe einsetzen, dann geht dieser Preis zu Recht an die beharrliche Erinnerungsarbeiterin Helga Obens. Ich gratuliere herzlich !

Wilfried Weinke

 

Sie können unten diese Laudatio als PDF downloaden.

 

Das Elbe-Wochenblatt berichtet über die Verleihung des Bürgerpreises der Bezirksversammlung Eimsbüttel. Hier wird in einem besonderen Artikel Helga Obens vorgestellt, die unter den Preisträger/inne/n ist. Der Artikel ist ebenfalls als PDF hier downzuloaden:

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