Rede Wiegmann | Zur Einweihung der Thürey-Gedenktafel am 22.10.22

Roland Wiegmann
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Liebe Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen,

auf dieser neuen Gedenktafel für Magda & Paul Thürey steht:
»Sie bezahlten ihren Einsatz gegen die Diktatur mit dem Leben.«
„Mit dem Leben bezahlen“ ist eine Metapher für den Akt des Sterbens. Aber lasst uns das heute weiter fassen und uns fragen, wie das Leben der Thüreys, mit dem sie „bezahlten“ in der Weimarer Republik ausgesehen haben mag.

Paul Thürey war gelernter Schlosser und Maschinenbauer. Als solcher hätte er - kein bürgerliches - aber ein materiell relativ gesichertes Leben
führen können. Er wählte die politische Tätigkeit und wurde 1923 als 19-
Jähriger ein Funktionär der Agitprop-Abteilung der Kommunistischen Partei. Erwerbsarbeit in seinem gelernten Beruf fand er danach immer nur vorübergehend.
Magda Thürey, geborene Bär, war nach ihrem Studium ab 1920 als Lehrerin tätig, aktives Gewerkschafts- und KPD-Mitglied - nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 aus dem Schuldienst entlassen.

Das Jahr 1923, in welchem Paul Thürey Parteifunktionär wurde, war geprägt von Hyperinflation und Währungsreform sowie vom maßgeblich von der KPD organisierten „Hamburger Aufstand“. Die KPD verlor dabei und in der Folge zwei Drittel ihrer Mitglieder – sei es durch Verfolgung, Flucht, Tod, Inhaftierung oder Austritte. Der Aufstand scheiterte nicht nur, er verschärfte auch noch weiter den bestehenden Gegensatz zur SPD und lenkte von der von rechts drohenden Gefahr des sich entwickelnden Nationalsozialismus ab.

Im Folgejahr 1924 wurde von Sinowjew der Begriff des „Sozialfaschismus“ kreiert und von der Komintern, der Kommunistischen Internationale, offiziell bis 1935 propagiert. Dieser Sozialfaschismusthese zufolge stellte die SPD den „linken Flügel des Faschismus“ dar und war daher „vorrangig zu bekämpfen“.

Die komplexere Sachlage hier auszubreiten (die viel mit den Motiven für die KPD-Abspaltung 1919 von der SPD, mit der Ebert/Noske-SPD-Regierung – also mit der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts sowie der blutigen Niederschlagung der März-Aufstände 1920, der Verhängung des landesweiten Ausnahmezustandes 1923 usw. ... zu tun hatte), würde hier zu weit führen, aber heute unter Historikern unbestritten verhinderten sowohl die mangelnde Analyse des Hamburger Aufstandes als auch die Spaltung der sozialistischen / sozialdemokratischen Kräfte durch die Sozialfaschismusthese maßgeblich eine frühe, gemeinsame Bewegung gegen den Faschismus.

Auch die SPD glänzte nicht mit sanftem Entgegenkommen. Der bekannte Kurt Schumacher warf 1930 der KPD vor, eine (Zitat) „rotlackierte Doppelausgabe der Nationalsozialisten“ zu sein, und blieb dabei bis 1945, als er sie nochmal „rot-lackierte Faschisten“ nannte.

Eigentlich war erklärtes Ziel der Kommunistischen Internationale seit 1920/21 die sogenannte „Einheitsfront“. Mit dieser wurde von KPD und SPD tatsächlich gemeinsam z.B. der faschistische Kapp- Lüttwitz-Putsch 1920 abgewehrt, 1926 eine gemeinsame Kampagne von KPD und SPD zur Fürstenenteignung durchgeführt und nicht zu vergessen: die gemeinsame, viel zu späte und wenig erfolgreiche „Antifaschistische Aktion“ 1932.

Dazwischen - ca. 1924/25 - unter der KPD-Führung von Ruth Fischer (die sich ja v.a. mit massiver posthumer Verleumdung von Rosa Luxemburg einen Namen gemacht hat) - kehrte die KPD vorübergehend wieder zur
sog. "Offensivstrategie" - also gegen die SPD - zurück. Nach der Entmachtung von Ruth Fischer 1926 wurden linksoppositionelle Kommunisten und ihre Gruppen systematisch aus der KPD ausgeschlossen - die fatale Sozialfaschismus-These wurde dennoch bis 1935 weiter propagiert.

Glücklich ist, wer in solchen Zeiten nicht die Orientierung verliert und sich enttäuscht ins Private zurückzieht. Die Kommunistische Partei, in der die Thüreys aktiv waren, beschäftigte sich beinahe mehr mit dem Kampf zwischen den eigenen Flügeln und gegen Abspaltungen als mit ihren Gegnern, den Nationalsozialisten. Ein Verweis auf unsere heutige Zeit sei an dieser Stelle erlaubt.

Als ob die dargestellten ideologischen Verwirrungen sowohl innerhalb als auch zwischen KPD und SPD nicht schon gereicht hätten, muss auch der ebenfalls zu Beginn der 20er Jahre entstandene und durchaus im Zusammenhang mit der Sozialfaschismus-These stehende „Querfront“-Begriff erwähnt werden (nicht: „Einheitsfront“ !).

Bekannte Nazis/Rechtsgerichtete wie Oswald Spengler, Kurt von Schleicher, Otto und Georg Strasser – forderten damit eine Zusammenarbeit von Reichswehr, rechten Sozialdemokraten und NSDAP. Mit der von diesen Rechten angestrebten „Querfront“ wurde die Kooperation oder Vermischung linker und rechter Positionen bezeichnet. Allerdings – und das ist wichtig – von Rechten entwickelt bestand der Inhalt dieser gewollten Kooperationen ausschließlich aus anti- emanzipatorischen Schnittmengen wie Antisemitismus, Rassismus, Homophobie, etc., niemals aus egalitären Forderungen nach Frieden, Abrüstung oder Sozialer Sicherheit. 

Wenn DIE LINKE es heute zulässt, dass die strategische Neue Rechte (sh. Götz Kubitschek) unwidersprochen friedens- und sozialpolitische Versatzstücke der klassischen Linken zum Schein annimmt (und das kann bei Rechten nur zum Schein gehen), dann lässt sich die ‘moralisch integre LINKE’ in ihrer Absetzbewegung in die neoliberale Vereinzelung treiben. Wer den Querfront- Begriff heute benutzt, möge sich überlegen, in welche Tradition er/sie sich stellt und welche Wirkungen das hat.

Der qualitative Unterschied ist zu machen zwischen zielgerichteter, verbindender Klassenpolitik, also sozialistischer Kritik an ziellosem Sozialreformismus, an systemverhaftetem, womöglich sogar militaristischem Ökoliberalismus, an der Verwandtschaft zwischen Ordo-Liberalismus und menschenverachtendem Rechtsradikalismus – ja auch an Sozialchauvinismus einerseits und auf der anderen – abzulehnenden - Seite der spalterischen Beschimpfung protestierender Bevölkerungsgruppen ohne gefestigtes linkes Weltbild oder des potentiellen parteilichen Bündnispartners.
Noch konkreter: Es ist maßlos, eine (agressive) Ökopartei als schlimmer als eine faschistische Partei zu bezeichnen, es ist aber auch elitär und selbstgefällig, sich auf die andere Straßenseite zu stellen und auf Friedens-Demos vermeintliche Nazis zu zählen. Beides ist gleichermaßen destruktiv.

Zurück zu den Thüreys:
1929 bis in die 30er Jahre dann die Weltwirtschaftskrise, in deren Folge das Realeinkommen der Lohnabhängigen um ein Drittel sank und die Zahl der Arbeitslosen auf über 6 bis 7 Millionen stieg. Massenverelendung und Hoffnungslosigkeit kennzeichneten das Alltagsleben. Sozialdemokratische und kommunistische Orientierung sucht man vergeblich. Die Spaltungen und Flügelkämpfe zeitigten ihre Wirkung. 1933 dann die bekannte Machtübergabe an die Faschisten.

Die Thüreys führten ihr Leben ohne Festanstellungen und Einkommen aus ihren erlernten Berufen ab 1933 mit ihrem Seifenladen „Waschbär“ (aus dem Ersparten von Magda eingerichtet) hier in der Emilienstraße 30, der dann als heimliche Zentrale des antifaschistischen Widerstandes diente. Was war das für ein klandestines Leben - in wirtschaftlicher Not und ohne ideologischen Halt, ja auch in ständiger Belastung durch die Anfeindungen zwischen den eigenen Reihen, vielleicht nur mit ganz ganz wenigen Menschen, denen sie im Laufe der 25 Jahre bis 1945 wirklich vertrauen konnten?

Welche Entbehrungen – sowohl wirtschaftlicher als auch sozialer Art – sie erlitten, auf welchem Flügel oder in welcher Strömung der KPD die Thüreys in den 20ern und 30ern standen, mag die Geschichtswissenschaft klären.
Wichtig ist mir: Die Thüreys waren unschätzbar bedeutsam für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Sie wurden dafür verraten, gefoltert, im Konzentrationslager jahrelang gequält oder hingerichtet. »Sie bezahlten ihren Einsatz mit ihrem Leben.«

Über dem Grab von Magda Thürey reichten sich 1945 Karl (genannt „Jack“) Meitmann (Landesvorsitzender der SPD) und Friedrich (genannt „Fiete“) Dettmann (Landesvorsitzender der KPD) symbolisch die Hände und versprachen, den Bruderkampf niemals wieder aufleben zu lassen. Beide wurden von ihren jeweiligen Parteien in den Folgejahren geschasst. 
Auch daran sollten wir uns heute erinnern.

 

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