„Rechtsextremismus im Bezirk Eimsbüttel“

Anfrage nach § 27 BezVG der Mitglieder der Bezirksversammlung, Uwe Giffei, Mechthild Führbaum und Anne Schum (SPD-Fraktion). Die Anfrage wird – von der Behörde für Inneres und Sport – wie folgt beantwortet:

 

 

Sachverhalt:

Die in den letzten Wochen bekannt gewordene Existenz einer neofaschistischen Terrorzelle, die über einen Zeitraum von zehn Jahren - u.a. auch in Hamburg - rechtsextremistisch motivierte Morde verübte, und eines sie unterstützenden Netzwerks, verdeutlicht auf erschütternde Weise, dass die vom organisierten, gewaltbereiten Rechtsextremismus ausgehende Gefahr bisher unterschätzt wurde.

Der Bezirk Eimsbüttel wird im besonderen Maße vom gelingenden Miteinander seiner Bürgerinnen und Bürger mit vielfältigen kulturellen, sozialen und religiösen Hintergründen und Überzeugungen geprägt. Dennoch ist Rechtsextremismus kein regional oder lokal begrenztes Phänomen, kein Problem „der anderen“. Der Hamburger Verfassungsschutzbericht 2010 verzeichnete für Hamburg u.a. 316 rechtsextremistisch motivierte Straftaten, darunter 21 Gewaltdelikte. Es gilt, rechtsextreme Aktivitäten und Gewalttaten aufmerksam zu beobachten und ihnen entschlossen entgegenzutreten.

 

Anfrage nach § 27 BezVG der Mitglieder der Bezirksversammlung, Uwe Giffei, Mechthild Führbaum und Anne Schum (SPD-Fraktion)

Die Anfrage wird – von der Behörde für Inneres und Sport – wie folgt beantwortet:

Sachverhalt:

Die in den letzten Wochen bekannt gewordene Existenz einer neofaschistischen Terrorzelle, die über einen Zeitraum von zehn Jahren - u.a. auch in Hamburg - rechtsextremistisch motivierte Morde verübte, und eines sie unterstützenden Netzwerks, verdeutlicht auf erschütternde Weise, dass die vom organisierten, gewaltbereiten Rechtsextremismus ausgehende Gefahr bisher unterschätzt wurde.

Der Bezirk Eimsbüttel wird im besonderen Maße vom gelingenden Miteinander seiner Bürgerinnen und Bürger mit vielfältigen kulturellen, sozialen und religiösen Hintergründen und Überzeugungen geprägt. Dennoch ist Rechtsextremismus kein regional oder lokal begrenztes Phänomen, kein Problem „der anderen“. Der Hamburger Verfassungsschutzbericht 2010 verzeichnete für Hamburg u.a. 316 rechtsextremistisch motivierte Straftaten, darunter 21 Gewaltdelikte. Es gilt, rechtsextreme Aktivitäten und Gewalttaten aufmerksam zu beobachten und ihnen entschlossen entgegenzutreten.

Deshalb fragen wir die zuständige Fachbehörde:

1.     Wie viele rechtsextremistisch motivierte Straftaten wurden in den Jahren 2006 bis 2011 jeweils im Bezirk Eimsbüttel verübt?

a.     Bei wie vielen dieser Straftaten handelte es sich jeweils um Propagandadelikte?

b.     Bei wie vielen dieser Straftaten handelte es sich jeweils um sog. fremdenfeindliche Delikte?

c.     Bei wie vielen dieser Straftaten handelte es sich jeweils um antisemitische Delikte?

d.     Bei wie vielen dieser Straftaten handelte es sich um Gewalttaten? Um welche Gewalttaten handelte es sich im einzelnen? Bei wie vielen dieser Straftaten waren Waffen im Einsatz?

e.     Wie hoch ist jeweils die Aufklärungsquote?

Für die Erfassung von Delikten der politisch motivierten Kriminalität (PMK) nutzen die Polizeien der Länder ein einheitliches elektronisches System beim Bundeskriminalamt. Stichtag für die Erfassung der jährlich registrierten Taten ist der 31. Januar des Folgejahres; bis zu diesem Stichtag sind Nachmeldungen möglich. Für 2011 liegen bisher lediglich die Zahlen von Januar bis einschließlich November vor.

Bezirk Eimsbüttel

2006

2007

2008

2009

2010

2011*

rechtsextremistische Straftaten

45

32

25

30

40

32

Aufklärungsquote

20%

9%

16%

27%

23%

16%

davon

 

 

 

 

 

 

Propagandadelikte

34

29

19

21

29

28

Aufklärungsquote

12%

10%

16%

24%

21%

7%

fremdenfeindliche Straftaten

3

3

3

4

4

3

Aufklärungsquote

33%

33%

33%

75%

50%

67%

antisemitische Straftaten

3

1

3

5

6

1

Aufklärungsquote

33%

0%

0%

0%

0%

100%

Gewalttaten insgesamt

1

0

3

2

2

1

Aufklärungsquote

100%

0%

33%

100%

100%

100%

davon

 

 

 

 

 

 

unter Einsatz von Waffen

 

 

2

 

1

 

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

 

 

 

 

 

1

Körperverletzung

 

1

 

2

 

 

gefährliche Körperverletzung

1

 

2

 

2

 

      * Januar - November

2.     Wie viele Waffenfunde gab es in Eimsbüttel in den Jahren 2006 bis 2011 bei im rechtsextremistischen Umfeld (bitte nach Art der Waffen aufschlüsseln)? 

Daten im Sinne der Fragestellung werden bei der Polizei nicht gesondert erfasst. Zur Beantwortung wäre eine Aktenauswertung erforderlich, die mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich ist.

3.     In wie vielen Fällen von rechtsextremistisch motivierten Straftaten der Jahre 2006 bis 2011 hatte jeweils der/die oder einer der Täter/Innen seinen/ihren Wohnsitz im Bezirk Eimsbüttel?

Bei den in der Tabelle zu 1. aufgeführten rechtsextremistischen Straftaten, bei denen ein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte, lag deren Wohnsitz wie folgt in Eimsbüttel.

 

2006

2007

2008

2009

2010

2011*

Wohnsitz des Tatverdächtigen in Eimsbüttel

7

2

1

6

5

4

      * Januar - November

4.     Welche Unterstützungs- und Hilfsangebote gibt es für Opfer von rechtsextremistisch motivierten Straftaten?

Neben den vielfältigen aufklärerischen Angeboten und Maßnahmen im Jugend- und Bildungsbereich gibt es mit dem Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus (Träger: Arbeit und Leben / DGB Jugend Nord) flächendeckend für ganz Hamburg ein niedrigschwelliges Beratungsangebot, welches sich speziell an Menschen richtet, die Beratungsbedarf in Bezug auf rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Vorfälle haben. Das Mobile Beratungsteam berät Opfer und andere Ratsuchende kostenlos und zeitnah, bei Bedarf auch vor Ort. Das Angebot richtet sich sowohl an Einzelpersonen als auch an Institutionen wie Schulen oder Unternehmen. Neben dem Mobilen Beratungsteam gibt es im Hamburger Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus weitere staatliche und nichtstaatliche Institutionen, die mögliche Ansprechpartner für Opfer rechtsextremistisch motivierter Straftaten sind. Aus der Opferhilfelandschaft gehören hierzu insbesondere die Opferhilfe Beratungsstelle und der WEISSE RING.

Wie alle Opfer von Straftaten, berät die Polizei Hamburg auch die Opfer von rechtsextremistisch motivierten Straftaten über ihre Rechte im Strafverfahren sowie über mögliche Entschädigungsansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz. Darüber hinaus vermittelt die Polizei auch Opfern von rechtsextremistisch motivierten Straftaten Kontakte zu geeigneten Opferhilfeeinrichtungen und Beratungsstellen. Die Broschüre „Polizeilicher Wegweiser in das Hamburger Hilfenetz“ beinhaltet eine nach unterschiedlichen Themenbereichen sortierte Auswahl an Einrichtungen aus dem vielfältigen Opferhilfesystem, darunter u.a. Hilfeeinrichtungen für Opfer von Gewalt und das o.g. Mobile Beratungsteam Hamburg gegen Rechtsextremismus mit den entsprechenden Kontaktdaten.

5.     Welche rechtsextremistischen Organisationen sind im Bezirk Eimsbüttel aktiv bzw. seit 2006 aktiv gewesen? In welcher Form?

6.     Wie viele und welche Veranstaltungen wurden seit 2006 im Bezirk Eimsbüttel von rechtsextremistischen Gruppierungen oder Einzelpersonen durchgeführt?

a.     Bei wie vielen und welchen Veranstaltung im Bezirk Eimsbüttel traten in den Jahren von 2006 bis 2011 als rechtsextremistisch einzustufende Personen als Rednerinnen oder Redner bzw. als Referentinnen oder Referenten auf? Um wen handelte es sich dabei jeweils?

Zu Frage 5. und 6.:

Im Bezirk Eimsbüttel war und ist vor allem die NPD aktiv. Sie verfügt mit dem Kreisverband Altona-Eimsbüttel auch über eine entsprechende organisatorische Struktur. Die regelmäßigen Zusammenkünfte finden allerdings nicht in Eimsbüttel, sondern in Altona statt. Seit 2006 führte die NPD nach hier vorliegenden Informationen insgesamt 19 Aktionen durch, darunter 14 Infostände, drei Saalveranstaltungen, eine Kundgebung und eine sonstige Propagandaaktion (Flugblattverteilung). Einige Aktivitäten wurden mit Beteiligung oder Unterstützung von Angehörigen der parteiunabhängigen Hamburger Neonazi-Szene durchgeführt.

Die genannten drei Saalveranstaltungen fanden allesamt in der ersten Jahreshälfte 2006 in einem Lokal in Stellingen statt. Auf zwei Veranstaltungen referierte ein Mitglied des Hamburger Landesverbandes, die dritte wurde von einem auswärtigen NPD-Funktionär bestritten. Bis zum Sommer 2006 führte auch die DVU Treffen im „Ratskeller“ durch. Am 07.05.2006 fand anlässlich des Jahrestages des Kriegsendes (08.05.1945) im genannten Stellinger Lokal eine weitere, von Mitgliedern der mittlerweile rechtsextremistischen Pennalen Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg organisierte Vortragsveranstaltung statt, auf der ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS und Angehöriger der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS“ (HIAG) einen Vortrag halten sollte. Der vorgesehene Referent sagte kurzfristig ab; für ihn sprang ein anderer, als Rechtsextremist bekannter „Zeitzeuge“ ein.

Als Reaktion auf einen Angriff auf einen Infostand am 03.06.06 in der Osterstraße meldete die NPD für den 08.06.06 unter dem Motto „Freiheit ist auch immer die Freiheit des Andersdenkenden“ eine Kundgebung in der Osterstraße an. Am Rande dieser Kundgebung und bei der Abfahrt der knapp 100 Teilnehmer kam es zu Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern. Der bisher letzte Infostand der NPD im Bezirk Eimsbüttel fand am 28.02.2009 am Tibarg statt. Neben der Osterstraße und dem Tibarg führte die NPD Infostände auch am Eidelstedter Platz, an der Alten Elbgaustraße und in der Wählingsallee durch. 2010 konnten keine Aktivitäten festgestellt werden. Da ein im Rahmen des Bürgerschaftswahlkampfes für den 05.02.2011 angemeldeter Infostand am Tibarg vom Bezirksamt nicht genehmigt wurde, verteilten einige rechtsextremistische Aktivisten dort Flugblätter.

7.     Gibt es Erkenntnisse darüber, wie groß das Potential an Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten im Bezirk Eimsbüttel ist? Falls ja, wie groß ist es? Wie viele dieser rechtsextremistischen Personen sind als gewaltbereit einzustufen?

Das LfV Hamburg weist in seinem Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2010 ein rechtsextremistisches Gesamtpotenzial von 480 Personen auf, die aktuell Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes zugeordnet werden können. Die NPD hat 140 Mitglieder, der Neonaziszene werden etwa 70 Personen zugerechnet. Viele davon sind auch gleichzeitig in der NPD. Darüber hinaus gibt es eine subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene (z. B. Besucher von rechtsextremistischen Konzerten), die etwa 140 Personen umfasst. Insgesamt werden 180 der 480 Rechtsextremisten als gewaltorientiert eingestuft. D.h., es liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass sie Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele befürworten, unterstützen oder selber bereit sind, rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten zu verüben oder dies schon getan haben. Eine Differenzierung der Zahlen nach einzelnen Bezirken wird nicht vorgenommen. Der Bezirk Eimsbüttel gehört aber in Bezug auf Aktivitäten von Rechtsextremisten in Hamburg nicht zu den Schwerpunktgebieten.

8.     Welche Programme und Konzepte zur Prävention bzw. Eindämmung von Rechtsextremismus sind verfügbar bzw. geplant?

Zur Abstimmung der in Hamburg vorhandenen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, ihrer Weiterentwicklung und ihrem Ausbau gibt es in Hamburg das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus, welchem rund 30 staatliche und nichtstaatliche Institutionen angehören. Das Beratungsnetzwerk trifft sich mindestens viermal jährlich sowie anlassbezogen und veranstaltet darüber hinaus Fachtagungen. Zuletzt fand am 06.12.2011 die Fachtagung „Krass gegen Rechts – Zivilcourage macht Schule“ für Berufsschüler/innen statt. Im Übrigen siehe Antwort zu 4.

Derzeit befindet sich darüber hinaus ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus in der Konzeption, in dem die vielfältigen Maßnahmen gebündelt werden sollen. Federführend zuständig für das Beratungsnetzwerk, das Mobile Beratungsteam sowie das Landesprogramm ist die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration.

9.     Existieren spezielle Angebote für Aussteigerinnen und Aussteiger aus der rechtsextremen Szene? Falls ja, welche?

Seit 2001 gibt es im Geschäftsbereich der Behörde für Inneres und Sport ein Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten. Am 20.03.2001 wurde bei der Hamburger Polizei eine Hotline für ausstiegswillige Angehörige der rechtsextremistischen Szene gestartet, mit dem das bundesweite Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten unterstützt wird. Hilfesuchende werden an das Landesamt für Verfassungsschutz weitervermittelt, das die weitere Betreuung übernimmt. Es besteht auch die Möglichkeit, sich direkt an das Landesamt für Verfassungsschutz zu wenden. Um zu verhindern, dass sehr junge Menschen in die rechtsextremistische Szene abrutschen, werden in Einzelfällen auch Personen aktiv angesprochen, um frühzeitig Hilfe und Unterstützung anzubieten. Im Übrigen siehe Drucksache 20/2047.

 

Hier können Sie die beanwortete Anfrage der SPD-Fraktion downloaden:

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