Quartiersfonds: Demokratie statt Zuweisung!

Hartmut Obens
 Beiträge Hartmut Obens Thema: Wohnungspolitik StaPla

Beitrag von Hartmut Obens im BürgerInnenbrief von Heike Sudmann und Tim Golke April 2013:

Die Linksfraktion in der Eimsbütteler Bezirksversammlung lud kürzlich ein zur Veranstaltung »Ein Bürgerhaushalt für die Lenzsiedlung!« im Cafe Veronika. Und darum ging’s.

Die Proteste gegen Scheeles Kürzungen in der offenen Kinder- und Jugendhilfe zeigten Wirkung, auch und gerade in der Lokstedter Lenzsiedlung. Die SPD-Bürgerschaftsfraktion, sichtlich irritiert über Ausmaß und Intensität der Gegenwehr in den Stadtteilen, entschloss sich zu einer konfliktdämpfenden Maßnahme und hob einen »Quartiersfonds bezirkliche Stadtteilarbeit« aus der Taufe, um die entstandenen »Scheeleschen Finanzlöcher« zu kompensieren. Für den Doppelhaushaushalt 2013/14 wurde flugs ein Budget von jährlich 1,5 Mio. Euro beschlossen. Das Besondere und durchaus Weiterführende ist, dass er die bisherige, an die Laufzeit von Projekten gebundene »Überbrückungsförderung« von bezirklichen Sozialprojekten zu einem »dauerhaften, aufgestockten und verstetigten »Quartiersfonds«« erweitert. Damit sei ein »zusätzliches flexibles Förderinstrumentarium« für die bezirkliche Sozialraumentwicklung geschaffen. Hinzu kommt, dass die Beschlussfassung über die Verwendung der Mittel den Bezirksversammlungen obliegt. In Eimsbüttel sind das ca. 210.916 Euro jährlich (Antrag der SPD-Fraktion zum Haushaltsplan-Entwurf 2013/2014, Bürgerschafts-Drucksache 20/6154; vgl. Drs. 20/6592).

Abgesehen von dem viel zu niedrigen Betrag bietet dieser Quartiersfonds immerhin erstmals eine Möglichkeit, die Förderung bezirklicher Projekte von der Beliebigkeit einzelprojektbezogener Zuwendungsbescheide zu lösen und über andere, kontinuierliche und demokratische Formen der Entscheidung bei finanzierungswürdigen Sozialprojekten nachzudenken.

Von dieser Überlegung ging die eingangs erwähnte Veranstaltung aus, zu der auch Christina Emmrich, Bezirksstadträtin für Jugend und Gesundheit vom Bezirksamt Berlin-Lichtenberg und bekannt als Schöpferin des Köpenicker »Bürgerhaushalts«, eingeladen war. Leider war sie kurzfristig verhindert, aber das tat der Diskussion der PodiumsteilnehmerInnen keinen Abbruch. Mit dabei waren Ralf Helling, Geschäftsführer des »Vereins Lenzsiedlung«, Manuela Pagels, Anwohnerin, Holger Burner, Sozialarbeiter und Rapper, Zaklin Nastic von der Fraktion DIE LINKE sowie der Fraktionsvorsitzende Hartmut Obens als Moderator. Angeregt wurde die Idee zur Veranstaltung auch durch eine Initiative des Bezirksamts (BA) Eimsbüttel, das das Thema »Bürgerbeteiligung« nach vorne bringen wollte. Dazu hatte es im Juni 2012 einen BA-Workshop gegeben, der u.a. die beiden in Eimsbüttel »fehlgeschlagenen« Bürgerentscheide »verarbeiten« sollte (Hoheluft-Domizil und Eidelstedt). Insbesondere die krachende Niederlage von SPD/GAL/FDP/CDU beim Bürgerentscheid zur »Erweiterung des Einkaufscenters in Eidelstedt« hatte zum Nachdenken über die Unzulänglichkeiten der bisherigen Praxis veranlasst, wie BA-Leiter Torsten Sevecke in seiner Begrüßungsansprache freimütig einräumte. Die LINKSFRAKTION in Eimsbüttel hatte die SPD/GAL-Koalition immer wieder mit dem Thema BürgerInnenbeteiligung traktiert und wird das auch weiterhin tun, besonders bei den Themen Wohnungsbau/Stadtplanung und der sozialen Stadtteil- und Quartiersentwicklung.

Ein dritter, wesentlicher Denkanstoß wurde von Rechtsanwältin Lena Dammann geliefert, die in ihrem von der Eimsbütteler Fraktion angeregten und von der LINKEN-Bürgerschaftsfraktion beauftragten Rechtsgutachten zum Thema »Bürgerbeteiligung« folgende Qualitätskriterien entwickelt hatte:

■ Wertschätzung der Beteiligung;

■ Zurverfügungstellung hinreichender Ressourcen;

■ Transparenz der Planungs- und Entscheidungsprozesse;

■ Ergebnisoffenheit des Beteiligungsverfahrens;

■ flexibler Einsatz vielfältiger Methoden;

■ Begründbarkeit von Entscheidungen anhand transparenter, nachvollziehbarer Kriterien.

Diese, aus der Fragwürdigkeit der herrschenden Beteiligungspraxis abgeleiteten Kriterien sollen eine »Bürgerbeteiligung auf Augenhöhe« ermöglichen, damit BürgerInnenbeteiligung nicht auf bloßes Akzeptanzmanagement heruntergeschraubt und damit beliebig verwendbar wird. »Der Begriff »Bürgerbeteiligung« ist missverständlich. Er ist ebenso breit wie unverbindlich und fasst so verschiedene Aspekte wie Information, Kommunikation, Konsultation und Kooperation. Dies führt dazu, dass zwar alle von Bürgerbeteiligung reden, aber jeder darunter etwas anderes versteht. Planer und Investoren von Großprojekten verstehen darunter Akzeptanzbeschaffung. Die Verwaltung »will den Bürger mitnehmen«. Politiker erhoffen sich weniger Demonstrationen. Soziologen wünschen sich mehr Demokratie. Bürger hoffen auf mehr Einfl uss und Moderatoren brauchen Aufträge.« (Manuel Humburg, Mitinitiator der Zukunftskonferenz Wilhelmsburg 2001/2002, Protokoll 11. BEP-Workshop Bezirksamt Eimsbüttel, 1.6.2012)

Wenn man so will, ist unser Vorschlag eines Quartiershaushaltes für die Lenzsiedlung als Ergebnis eines »Ideenclusters« aus all diesen Überlegungen anzusehen. Gleichzeitig soll die bezirkliche Demokratie gestärkt werden, die unter Olaf Scholz ein Mauerblümchendasein fristet. Der Quartiershaushalt ist als Pilotprojekt gedacht und soll zunächst die durch den Quartiersfonds bereitgestellten Mittel für den Stadtteil auf den Weg bringen. Welchen sozialen und politischen Nutzen hätte die Einführung eines Quartiershaushalts?

■ Die Partizipation und Selbstermächtigung fördert die Entwicklung von Stadtteilen wie der Lenzsiedlung.

■ Das bürgerschaftliche Engagement wird gestärkt.

■ Das stadtteilbezogene Handeln der Bezirksverwaltung wird gestärkt, die »Sozialraumentwicklung« wird durch verantwortliches AnwohnerInnen-Handeln erweitert.

■ Das Verfahren ist offen und auf Dauer angelegt, die AnwohnerInnenaktivitäten können nachhaltig und auf Dauer wachgehalten werden.

Jede/r kann mitmachen, für Projektideen und deren Finanzierung kann demokratisch gestritten werden.

Als Gremium für die Diskussionen und Beschlüsse zum Quartiershaushalt kommt in der Lenzsiedlung am ehesten der Stadtteilbeirat infrage, der im Quartier eine schon über Jahre anhaltende rege Aktivität zeigt und anerkanntes »Quartierszentrum« für alle sozialen Belange ist. Deshalb ist es auch naheliegend, die Vorläufigkeit und Befristung dieses Gremiums aufzuheben und zu einem festen Bestandteil des demokratischen Lebens und Entscheidens im Bezirk zu machen. Dabei ist zu beachten, dass die (soziale) Zusammensetzung des Gremiums ein Spiegelbild der sozialen Struktur des Quartiers abgeben muss. Für die Teilnahme und Beschlussfassung der verschiedenen AnwohnerInnengruppen (SeniorInnen, Behinderte, MigrantInnen, Kinder und Jugendliche, Langzeitarbeitslose, Sozialeinrichtungen usw.) müssen verbindliche und repräsentative Vertretungsrichtlinien gelten und durch periodisch stattfindende Wahlen bestätigt werden.

Für das Einbringen von Projektvorschlägen sollten, wie beim Berliner Modell, drei Beteiligungswege eingerichtet werden: Der Internetdialog, schriftliche Meldungen und der Stadtteildialog. Aus den Vorschlägen wird eine Liste der abgegebenen Voten erstellt (»TOP TEN«). Entsprechend dem zur Verfügung stehenden Budget trifft der Stadtteilbeirat eine Haushaltsabstimmung über die zu fördernden Projekte und legt der Bezirksversammlung diese Liste vor. Die Bezirksversammlung verzichtet auf ein eigenes Votum und übernimmt die ihr vorgelegte Liste als Vorlage zur abschließenden Beschlussfassung. Momentan ist geplant, eine Unterschriftensammlung für die Einführung eines Quartiershaushalts in der Lenzsiedlung durchzuführen. Erste Diskussionen dazu haben im Stadtteilbeirat bereits stattgefunden, bei denen diese Idee eine positive Resonanz gefunden hat. Wie es weitergeht, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen.

 

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